Augenblicksfinderin

Kommentierte Augenblicke

Ich glaube, es ist...
ganz normal, dass man Dinge sehr selektiv erzählt....
diefrogg - 7. Jan, 21:40
Danke, dass Sie uns dieses...
Danke, dass Sie uns dieses Erlebnis nicht vorenthalten...
iGing - 5. Nov, 21:06
...danke für das teilhaben-dürfen...
...danke für das teilhaben-dürfen an deinem erlebten...
fata morgana - 5. Okt, 19:41
solche situationen sind...
solche situationen sind anstrengend und enervierend....
bonanzaMARGOT - 5. Okt, 11:50
Oh, Dankeschön :-)
Oh, Dankeschön :-)
Grünäuglein - 12. Sep, 07:14
da wünsche ich dir dort...
da wünsche ich dir dort einen guten start!
bonanzaMARGOT - 12. Sep, 07:03
Ursprünglich hatte ich...
Ursprünglich hatte ich mal Lehramt studiert, bin dann...
Grünäuglein - 11. Sep, 21:15
was ist das denn für...
was ist das denn für ein traumjob, auf den du wartest?
bonanzaMARGOT - 11. Sep, 17:51

Diskutierte Augenblicke

Oh, Dankeschön :-)
Oh, Dankeschön :-)
Augenblicksgedanken - 12. Sep, 07:14
Ursprünglich hatte ich...
Ursprünglich hatte ich mal Lehramt studiert, bin dann...
Augenblicksgedanken - 11. Sep, 21:15
kann ich ebenfalls nur...
kann ich ebenfalls nur zustimmen - und ich kann mich...
froggblog - 8. Sep, 22:16
Ich nehme mal an, die...
Ich nehme mal an, die Erdbeeren waren nicht angepflanzt,...
Klauswittelsbach - 24. Aug, 11:32
Eindeutig Beet Nr. 01
Das erinnert mehr an Feldblumen, die auf dem Grasstück...
Klauswittelsbach - 23. Aug, 19:32

Du bist doch behindert...

Sonntagnachmittag saß ich im Zug zurück von Grauauge in mein kleines tristes Leben. Ich stieg wahllos in ein Zugabteil ein, die Verabschiedungszeremonie - wenn man es denn als solche bezeichnen könnte - fand bereits am Bahnhofsparkplatz statt. Ich hasse Abschiede, deswegen fallen sie bei mir möglichst kurz und schmerzlos aus, man sieht sich ja doch früher oder später wieder.
Jedenfalls waren alle Doppelplätze bereits belegt, ich setzte mich kommentarlos neben einen schlafenden jungen Herrn, nahm ein abgewetztes, kürzlich im Antiquariat erstandenes Taschenbuch aus meiner Handtasche und begann zu lesen. "Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet" von Anna Gavalda. Eine begnadete Schriftstellerin in meinen Augen. Kaum ein Autor der Neuzeit schafft es, Augenblick dergestalt festzuhalten, wie sie es tut. Schon allein solche ein Titel für eine Sammlung von Erzählungen… Aber was verstehe ich schon davon. Jedenfalls war ich vollkommen vertieft, als die Person neben mir plötzlich unruhig wurde. Das halbe Zugabteil war laut - ständiges Gekicher, Stöhnen und lautes Erzählen - wurde mir in diesem Moment bewusst. Irgendwie schaffte es der jungen Mann neben mir, mich lautstark brüllend in ein Gespräch zu verwickeln. Er hatte - darf man bei der Wortwahl eigentlich so direkt sein? Ich nehme es mir einfach mal heraus - behindert. Der Kopf war leicht deformiert, vielleicht ähnlich wie beim Down-Syndrom, allerdings nicht so stark ausgeprägt. Was beim Sprechen aber deutlich wurde, war seine geistige Behinderung. Er fragte wo ich denn hin wollte. Ich sagte es ihm. Er erzählte mir, wo er hin wollte. Er war mit einer ganzen Gruppe Behinderter unterschiedlichster Arten unterwegs, kam zurück von einem Wochenendausflug aufs Land. Er fragte was ich denn mache. Ich sagte es ihm. Er arbeitete in einer Behindertenwerkstatt. Er formte aus Drähten Büroklammern in bestimmten Formen. Irgendwann legte ich das Buch zur Seite, zum Lesen kam ich ja doch nicht mehr. Ich begann, verstohlen die Leute um mich herum zu beobachten. Viele starrten mich an. Behinderte und Nicht-Behinderte starrten zu mir. Es war mir peinlich. Falsch, der Spinner neben mir, der durch sein Geplärre mit mir die ganze Aufmerksamkeit des Zugabteils auf uns lenkte, der war mir peinlich. Ich schämte mich für ihn.
Als ich mir dieses Gedankenganges bewusst wurde, schämte ich mich immer noch. Doch diesmal für mich.
Hochgepriesen wird sie, die Inklusion. Unsere Universität baut jetzt ein Gebäude, komplett behinderten-gerecht. Denn, wir wollen Behinderte nicht nur integrieren, nein, wir wollen sie inkludieren. Doch wie man das genau macht, dieses Inkludieren, das sagt uns keiner. Das sagt auch keiner dem Lehrer in der Grund-, Haupt-, Realschule oder dem Gymnasium, wenn die Förderschulen Stück für Stück abgeschafft werden. Ich sitze hier wie ein Häufchen Elend im Zugabteil, und weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Mit ihm, mit der Situation, mit den Blicken. In meinem näheren Bekanntenkreis gibt es keine Behinderten. Nicht mal jemanden, der einen kennt. Irgendwann zu Schulzeiten habe ich mal gegenüber einer Familie gewohnt, deren Sohn Down-Syndrom hatte. Man hat sich auf der Straße freundlich zugenickt, das war's dann aber auch schon wieder. Ich weiß nichts davon, wie man mit solchen Menschen umgeht. Was nehme ich mir eigentlich heraus, sie als solche Menschen zu bezeichnen? Ich komme mir ungelenk im Gespräch vor. Er sieht aus wie 15, das Alter ist schwer zu schätzen, aber spricht und benimmt sich wie 4. Ich frage ihn nicht.
Irgendwann an der Uni erzählte mal wer davon, dass der Mensch etwa einen 30-50cm um sich herum seinen eigenen Schonraum benötigt. Dieser wird nur von engen Freunden und Familie für längere Zeit unterbrochen. Ansonsten nur durch diverse Begrüßungsrituale oder dergleichen. Auch wenn man sich dieses Raums nicht bewusst ist, wird er stillschweigend von den Personen um einen herum akzeptiert. Er akzeptierte ihn nicht. Er durchbrach ihn pausenlos. Er fasste mich an. Er streichelte mich übers Bein, berührte meine Wange. Es wurde mir zu viel. Wir fuhren gerade am letzten Halt vor meinem Umstieg vorbei, ich verabschiedete mich, ich müsse noch schnell einen Anschlusszug bekommen.
Er lächelte mich an und bedankte sich. Die Fahrt war gar nicht so langweilig mit mir, sonst schlafe er immer. Ich ging Richtung Tür, kurz vor der Treppe schaute ich mich um, ob ich auch nichts vergessen hatte. Er winkte mir zu. Ich winkte zurück und lächelte.

Ich steige aus, gehe zum nächsten Gleis und warte. Mein Zug kommt erst in 20 Minuten. Ich fühle mich ausgelaugt. Und scheiße, um es genauer zu sagen. Das Lächeln ist mir vergangen.
bonanzaMARGOT - 5. Okt, 11:50

solche situationen sind anstrengend und enervierend. kann einem aber auch mit nicht-behinderten passieren, z.b. mit angetrunkenen. es ist immer schwierig, höflich zu bleiben, wenn gewisse grenzen der lautstärke oder der distanz überschritten werden. und bei einem behinderten traut man sich nicht, ihn zurecht zu weisen, weil man denkt, dass der doch nichts dafür kann und man nicht als intolerant erscheinen will. schon bei nicht-behinderten ist es nicht einfach, die menschen in ihre grenzen zu weisen. lieber wechselt man dann den platz im zug, im bus oder in der straßenbahn - oder setzt sich erst gar nicht neben menschen, die "verdächtig" aussehen. wie gesagt, es ist nicht einfach. in unserer gesellschaft, wo wir sehr viel wert auf unseren individuellen freiraum legen, kann sich schnell eine gespannte atmosphäre aufbauen ... in der bahn suche ich mir auf mittellangen fahrten einen platz im restaurantwagen; oder, wenn ich reservierte, dann nur einen platz zum gang hin, damit ich nicht noch über den anderen drüber steigen muss, wenn ich z.b. zur toilette will.
du hast doch ganz gut durchgehalten, finde ich. und du brauchst dich weder für den mann noch selbst zu schämen. wir sind solche situationen im alltag gemeinhin nicht gewohnt, und niemand kann da die völlige normalität im umgang erwarten. vielleicht ärgert man sich etwas über sich selbst, dass man so hilflos ist - aber das läßt sich nicht ändern. volle züge können dahingehend ätzend sein, weil man kaum rückzugsmöglichkeiten hat.
die behinderten (ob geistig, körperlich oder beides) wollen meist gar nicht besonders rücksichtsvoll behandelt werden. denen darf man auch mal sagen, wenn einem etwas an ihrem verhalten stört (leichter gesagt als getan). oder man zieht sich höflich zurück. vorwürfe sollte man sich da keine machen.

fata morgana - 5. Okt, 19:41

...danke für das teilhaben-dürfen an deinem erlebten und den dazugehörenden gedanken, mir läuft die gänsehaut über den rücken, dein text berührt mich.

auch - wenn ich so ganz anders als du, keine berührungsängste gegenüber den menschen mit behinderung habe. elf jahre lang arbeitete ich in einem heim fürs schwerstbehinderte kinder und jugendliche, meine tochter studiert lehramt für sonderpädagogik, da ist mir eigentlich nichts in diesem zusammenhang stehende fremd -- und trotzdem verstehe ich das von dir erlebte gut.

menschen mit gesitiger behinderung, sind so ganz anders und deshalb wertvoll in ihrer art. sie sind oft einfach im wesen, aber - im gegensatz zum rest der gesellschaft - offen, ehrlich und liebenswert im kontakt.

iGing - 5. Nov, 21:06

Danke, dass Sie uns dieses Erlebnis nicht vorenthalten haben! Ich bin überzeugt, dass viele sich in den geschilderten Gefühlen wiedererkennen. Wenn jemand behauptet, er kenne solche nicht, so nehme ich ihm das nicht ab, außer wenn derjenige tatsächlich über einige Erfahrung mit Behinderten verfügt.
Denn die Nähe, der Umgang, das Wahrnehmen der Verantwortung öffnet tatsächlich das Herz.
Aber selbst wenn man einmal erlebt hat, wie unbedingt man von einem behinderten Kind gemocht wird und wie einfach es ist, ihm liebevolle Nähe zu vermitteln, so werden in Situationen wie der oben geschilderten noch genug Vorbehalte und Distanzierungsmechanismen wach, die eine unbefangene Kommunikation erschweren.

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